Mittwoch, 7. Juni 2017

Dumme Gans, warum sagst Du das nicht gleich?! - Marburger Zeitung (Samstag, 27. Dezember 1902)

"Eine Familie in Gonobitz hat ein Dienstmädchen, mit welchem sie immer sehr zufrieden war. Plötzlich aber änderte sich das Wesen des Mädchens in auffallender Weise. Traurig schlich es im Hause umher und benahm sich oft in geradezu auffallender Weise. Der Dienstgeber stellte nun eines Tages das Mädchen zur Rede, doch wollte dasselbe anfangs nicht mit der Sprache heraus. Auf wiederholtes, eindringliches Befragen erklärte das Mädchen endlich mit gepreßter Stimme, es sei deshalb so außer sich, "weil ich verdammt bin!" Daß sein Dienstmädchen schon bei Lebzeiten verdammt sein soll, ging dem Gonobitzer, der auch offenbar so ein arges ungläubiges Weltkind ist, denn doch über die Hutschnur und er drang nun neuerlich in das Mädchen, ihm doch zu sagen, warum es denn eigentlich verdammt sei. Und das Mädchen erzählte, daß es in Cilli bei der Beichte war und dem beichthörenden Pater über dessen nachdrückliches Verlangen auch gestand, daß es ein Liebesverhältnis in Gonobitz habe. Darauf erklärte ihr der Pater ganz entsetzt, daß sie verdammt sei, hoffnungslos verdammt! Für das vollständig niedergeschmetterte Mädchen war die Gewissheit, in so jungen Jahren schon mir nichts dir nichts verdammt zu sein, keine angenehme Überraschung und deshalb die Niedergeschlagenheit.
Um den Mund des Gonobitzers aber spielte ein listig-arges Lächeln. Eine Weile redete er mit leiser Stimme mit dem Mädchen, worauf er sich, wieder listig lächelnd, entfernte. Er hatte ihr ein Rezept für eine nochmalige Beichte gegeben. Und richtig, das Mädchen ging bald darauf neuerlich nach Cilli beichten. Und als sie wieder vor dem Pater kniete, frug er sie neuerlich, ob sie kein Liebesverhältnis habe. Das Mädchen aber tat lange verlegen und zurückhaltend. Endlich sagte es: "Ja!" Nun wollte der Pater wissen, was ihr Liebster sei. Das wollte das Mädchen aber durchaus nicht beichten. "Ich darf das nicht sagen, ich darf nicht, mir ist's verboten worden." "Aber Du mußt es sagen!" "Nun, in Gottes Namen", meinte das Mädchen weiter, "es ist ein Pfarrer!" "Dumme Gans, warum hast Du denn das nicht gleich gesagt, das macht dann ja nichts!" sagte der Pater, erläuterte ihr noch mit kurzen Worten den Unterschied zwischen einer weltlichen und geistlichen Liebschaft und sprach sie von der Verdammnis frei, indem er ihr die Lossprechung erteilte."

Quelle: Marburger Zeitung Nr. 154  41. Jahrgang - Marburger Nachrichten, Seite 4, rechte Spalte
(Schreibweise und Satzzeichen unverändert)